Die neue Klassifizierung von Gas und Kernenergie als grüne Energie ist im Gange. Das Straßburger Parlament zählt sie zu den grünen Investitionen

Das Europäische Parlament hat vor einigen Wochen die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Taxonomie für nachhaltige Investitionen bestätigt. Mit dem ergänzenden delegierten Rechtsakt, in dem Gas und Kernenergie gleichberechtigt mit Wind- und Solarenergie in die grüne Investitionsklassifizierung aufgenommen werden, erklärte die EU nach den Worten der für Finanzdienstleistungen zuständigen Kommissarin Mairead McGuinness: „Wir wollen sicherstellen, dass private Investitionen in Gas und Kernenergie, die für unsere Energiewende notwendig sind, strengen Kriterien entsprechen. Investitionen in erneuerbare Energien sind bereits eine Priorität in unserer Steuersystematik: das ist unsere Zukunft. Unser Vorschlag sorgt für Transparenz, damit die Investoren wissen, in was sie investieren“. Der Vorschlag zielt jedoch nicht nur darauf ab, diese Quellen in die Liste der nachhaltigen Energien aufzunehmen, sondern versucht auch, neue künftige Leitlinien und die notwendigen Kriterien und Bedingungen für die Umsetzung des Energiewandlungsprozesses zu umreißen.

Trotz der Bestätigung, dass die Einbeziehung bestimmter Erdgas- und Kernkraftaktivitäten zeitlich begrenzt bleiben und von spezifischen Bedingungen abhängen wird, hat der Beschluss des Europäischen Parlaments zahlreiche Kritikpunkte aufgeworfen, die vor allem die tatsächliche Nachhaltigkeit von fossilem Gas und Kernkraft betreffen. Diese Energieressourcen leiden seit jeher unter dem Vorurteil mangelnder Klarheit, die den enormen technologischen Fortschritten nicht Rechnung trägt, die weiterhin gemacht werden, insbesondere im Hinblick auf die Entsorgung der bei der Kernspaltung entstehenden Abfälle und deren anschließende Lagerung in isolierten und sicheren Endlagern.

In einem Szenario der Energieversorgungskrise, wie wir es derzeit erleben, müssen jedoch fossile Gase und Kernenergie, die zu den wichtigsten Primärenergiequellen gehören, weil sie keine Energieumwandlung erfordern, da sie bereits in der Natur in reinem Zustand vorhanden sind, als gangbare Alternativen in Betracht gezogen werden, nicht zuletzt wegen der Vorteile, die sie bieten.

Fossiles Gas ist nach Erdöl der am zweithäufigsten genutzte Energieträger. Es lässt sich leicht nutzen und in sekundäre Energiequellen umwandeln und kann einfach gelagert werden: Die gelieferte Energie ist daher viel billiger als die aus anderen Quellen und zudem wesentlich flexibler. Neue technologische Prozesse wirken sich auf die Effizienz der Netze und die Nachhaltigkeit aus; dank der Einführung von Biomethan-Lieferkettenprozessen sind wir Zeugen einer positiven Kreislaufwirtschaft und einer Optimierung der Ressourcennutzung.

Bei der Nutzung der Kernenergie hingegen ist die Frage nach den Vor- und Nachteilen vor allem in der öffentlichen Meinung schwieriger in einen strategischen Rahmen des Green New Deal einzupassen, der die Form eines Pakts zwischen Bürgern und Unternehmen annimmt, um das Verhältnis zwischen Energiesicherheit, Umweltschutz und Zugänglichkeit von Energie zu verbessern. Die Nutzung der Kernenergie ermöglicht nicht nur die Erzeugung großer Energiemengen zu geringen Kosten – Schätzungen zufolge kann ein Kraftwerk den Bedarf einer oder mehrerer mittelgroßer Städte decken -, sondern sorgt auch für einen erheblichen Rückgang der CO2-Emissionen, was die Umweltauswirkungen erheblich verringert. Darüber hinaus ist die Inbetriebnahme zwar kapitalintensiv, aber aufgrund der langen Lebensdauer einer Anlage und der niedrigen Betriebskosten können die Anfangsinvestitionen amortisiert werden. Auch ein geopolitischer Faktor darf nicht außer Acht gelassen werden: Kernkraftwerke werden zu sicheren und kontinuierlichen Stromquellen, die den verschiedenen Staaten, in denen sie stehen, Energieunabhängigkeit von ausländischen Lieferungen garantieren.